Sehr geehrte Frau Sieble,
Mit Erschrecken haben wir Ihren Artikel „Herz statt Hetze: Es bleibt ein fader Beigeschmack“ zur Kenntnis genommen.
Beim Lesen Ihres Artikels drängt sich uns eine Frage besonders auf: Woher kommt bei Ihnen dieses dringende Bedürfnis, sich ausgerechnet von linken Gruppen abzugrenzen, obwohl kurz zuvor tausende gewalttätige Nazis durch Ihre Stadt marschiert sind? Gerade die Menschen von denen Sie sich abzugrenzen suchen, sind überall in Deutschland wichtige Rollenträger*innen im Kampf gegen drohende Faschisierung. Sich auf der einen Seite über die große Anzahl an Menschen, welche sich gegen Nazis engagieren, zu freuen, aber sich auf der anderen Seite von einem entscheidenden Teil dieser Akteur*innen zu distanzieren, halten wir für widersprüchlich. Eine weitere Frage ist, weshalb Sie so traurig über die Ankunft der radikalen Linken in Chemnitz sind und diese als fröhlich-unbedarfte Demotourist*innen beschimpfen. Auch wir Falken betreiben antifaschistische (Bildungs-)Arbeit und sind nach Chemnitz gefahren, um gegen die Faschist*innen auf die Straße zu gehen. Wir sind stolz darauf Antifaschist*innen zu sein und wundern uns nun doch sehr, weshalb eine SPD-Politikerin eher bei unserem Anblick, als bei dem Anblick von Rechtsradikalen traurig wird. Nun ist Trauer erst einmal ein Gefühl und kein Argument. Noch dazu ein Gefühl, das wir im Bezug auf Antifaschismus nicht nachvollziehen können.
Sie beklagen, dass der getötete Mensch in den Hintergrund getreten wäre. Es waren die Rechten, die dieses Verbrechen für ihre Hetze nutzten. Der Grund für das daraufhin stattfindende Konzert war, sich gegen Nazis, die vermeintliche Ausländer*innen jagten und gegen deren Instrumentalisierung eines Verbrechens zu stellen – also mitnichten eine reine Trauerfeier. Den Nazis kein Fußbreit die Stadt zu überlassen, darum ging es und das hat funktioniert. Das hat funktioniert, weil sich tatsächlich die verschiedensten Menschen und Gruppen an diesem Tag über dieses eine Ziel einig waren, nämlich antifaschistisch zu handeln. „Die Antifa“ kann sich dabei aus sozialdemokratischen, gewerkschaftlichen, kommunistischen, anarchistischen und teils sogar kirchlichen Gruppen oder Personen zusammensetzen. Je nach Begebenheit vor Ort gelingt es dann mehr oder weniger erfolgreich breite Bündnisse gegen Faschist*innen aufzustellen. Dem entsprechen dann auch die jeweiligen Aktionsformen. Antifaschismus kann sich demnach in Vielem äußern und hat dem innewohnenden Sinn folgend keine Bedingungen, außer dabei erfolgreich sein zu wollen. Sie, Frau Sieble, spalten mit Ihrem Kommentar und diskreditieren Menschen, deren Ziel es ist, immer und überall antifaschistisch zu handeln. Das ist absurd. Viel mehr sollten wir alle es doch unterstützen, dass sich mehr und mehr Menschen offen und klar gegen Faschismus positionieren, sodass sich niemand überhaupt traut rechte Vernichtungsphantasien zu äußern. Und nicht „die Antifa“ als ein neues Schimpfwort pflegen. Was Sie mit Ihrem Artikel bewirken wollen, ist eine Spaltung, die wir für gefährlich halten. Eine Trennung zwischen „guten, gemäßigten Linken“ und „bösen, radikalen Linken“. Und das an jenem Tag, an dem eine linke Bewegung in Deutschland etwas geschafft hat, was Sie wirklich nicht oft von sich behaupten kann: Ein breites wirksames Bündnis gegen Rechts einzugehen, das sich bis ins bürgerlich-konservative Lager ausweitete.
Wir haben das Gefühl, dass mal wieder die Antifa als Sündenbock herhalten soll, um sich, in Abgrenzung zu dieser Bewegung, die „brave, schweigende Mitte“ warmzuhalten. Wir hoffen, dass Ihnen bewusst ist, dass dieses Narrativ vor allem den Faschist*innen in die Hände spielt, die sich so nämlich dazu stilisieren können, in der geschaffenen Abgrenzung zur Antifa, die „normalen Bürger“ zu sein. Um eine gemäßigte Mitte als Wähler*innen zu gewinnen, hilft es nicht einer von rechts getragenen Extremismustheorie aufzusitzen. Viel hilfreicher dabei wäre es, klar und deutlich zu seiner Meinung zu stehen und nicht diejenigen zu diffamieren, die diese Meinung teilen. Auch wenn Ihrer Traurigkeit gegebenenfalls eine Angst vor linken Gewalttaten zu Grunde liegt, vergessen Sie bitte nicht den entscheidenden Unterschied: Das Programm Linker ist es, ein gutes Leben für alle Menschen zu ermöglichen. Rechte hingegen möchten diejenigen, die von ihren engen Normen abweichen, wegsperren und töten. Zum Abschluss ein Zitat aus einem Artikel von Margarete Stokowski, der auf „Spiegel Online“ zu lesen ist: „Die Antifa leistet in Deutschland einen ganzen Haufen Bildungs-, Informations- und Mobilisierungsarbeit, die dazu beiträgt, dass es in diesem Land nicht noch düsterer wird, und wer all das ausblendet, hat entweder schäbig recherchiert oder will es nicht besser wissen.“
Dieses Statement ist unsere Antwort auf den Artikel: „Herz statt Hetze: Es bleibt ein fader Beigeschmack“ der am 3.9.18. im „vorwärts“ online veröffentlicht wurde. Leider wurde dieser Debattenbeitrag dort nicht veröffentlicht, sodass wir ihn auf diesen Weg zu Verfügung stellen möchten.