Es ist Angesichts der gesellschaftlichen Verhältnisse – nicht nur wegen des Abschneidens der AfD bei der bayerischen Landtagswahl – nur folgerichtig, wenn der KJR Nürnberg Stadt als eines seiner primären Aufgaben für 2024 die Stärkung der Demokratie und den Kampf gegen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus sieht. Sich dabei auf die vermeintlichen Errungenschaften einer demokratischen Gesellschaft innerhalb eines kapitalistischen Systems auszuruhen oder gar zu verlassen, wird dafür aber nicht mehr ausreichen. Nicht nur die letzten Repressionen gegenüber Antifaschist*innen in Nürnberg lassen mehr und mehr begründete Zweifel daran aufkommen, ob dieses Ziel gesellschaftlich betrachtet überhaupt noch gewünscht ist – gerade bei Menschen die eigentlich davon überzeugt sind.
Wenn Staatsanwält*innen und Richter*innen im Schulterschluss mit der Polizei Haustüren von Antifaschist*innen eintreten lassen – wie am 11. Oktober 2023 in Nürnberg geschehen- diese gefesselt und teilweise mit scharfen Schusswaffen bedroht werden, dann stimmt innerhalb einer demokratischen Gesellschaft etwas nicht mehr. Wenn dabei konstruiert wird dies auf Grundlage des §129 StGB – also der Bildung einer kriminellen Vereinigung – zu legitimieren, ist nicht nur das politische Koordinatensystem dieser demokratischen Gesellschaft durcheinandergekommen. Wie anders soll ein solcher Vorgang verstanden werden, als die unmissverständliche Aussage des demokratischen Rechtsstaates – mindestens Teilen davon – wen es einzuschüchtern gilt, wer als Bedrohung gesehen wird und wer bekämpft werden muss: Antifaschistische Jugendliche und (junge) Erwachsene, die (schlimmsten Falls) vermeintlich für Graffiti im Stadtbild verantwortlich sind – wenn überhaupt.
Wenn dies auf Grundlage eines der „schärfsten Schwerter“ der sich als „demokratischer Rechtsaat“ bezeichneten Gesellschaft geschieht, das zur Bekämpfung schwerster Verbrechen und der organisierten Kriminalität geschaffen wurde, werden Zweifel an Ausrichtung und Funktionsfähigkeit dieses Rechtsstaates geweckt. Manche fühlen sich mitunter an ganz andere Zeiten erinnert. Die „Verherrlichung des Nationalsozialismus“ ist völlig zurecht nach 1945 zu einem Straftatbestand geworden – die Gründe müssen an dieser Stelle bestimmt nicht im Detail dargestellt werden, über sechs Millionen ermordete Jüdinnen und Juden sind Grund genug. Jetzt 85 Jahre nach dem 9./10. November 1938 von einer „Verherrlichung des Antifaschismus“ als Straftatbestand zu lamentieren und dies ernsthaft zur legitimen Grundlage von Repression zu erklären, ist bei Weitem viel mehr als „nur“ geschichtsvergessen.
Dadurch finden genau jene Kreise, politische Parteien und Ideologien Bestärkung in ihrem Reden und Handeln, die aktuell wieder Davidsterne an Wohnungstüren schmieren und (vermeintlich) jüdische Menschen auf der Straße oder auf Schulhöfen angreifen. Es bestärkt deutsche Nazis, rechtspopulistische Parteien, Vereine und Vertreter*innen einer Ideologie des Politischen Islam gleichermaßen in ihrem Tun. Auch dieser ist eine zutiefst menschenverachtende, antidemokratische, frauenfeindliche und antisemitische Ideologie, deren Manifestation sich nicht nur in „allahu akbar“- Geschrei in deutschen Städten Bahnen bricht. Das Pogrom der Hamas vom 7. Oktober an über 1500 Jüdinnen und Juden innerhalb weniger Stunden ist nur ein Beispiel dafür und eines der schlimmsten Massaker an Jüdinnen und Juden nach der Shoa, ein antisemitischer Terroranschlag, der auch auf deutschen Straßen bejubelt und gefeiert wurde – bei weitem nicht nur von Teilen der islamischen Community, die davor viel zu lange die Augen verschlossen hat, auch in Ihren Jugendverbänden.
Es braucht daher nicht (nur) die Stärkung der Demokratie und der Frage, was eine demokratische Gesellschaft überhaupt ausmacht. Es braucht vielmehr ein klares Bekenntnis zu einem wehrhaften, gesellschaftlichen Antifaschismus, der Stärkung antifaschistischer Jugendstrukturen, der Verankerung von Antifaschismus in den Verbänden sowie der Unterstützung und Solidarität mit antifaschistischen Jugendlichen und (jungen)Erwachsenen – wo auch immer diese mit Repression im Namen eines demokratischen Rechtsstaats überschüttet werden. Gesellschaftlich bedarf es in den Verbänden und Jugendorganisationen der Bekämpfung von Antisemitismus, Faschismus, Rassismus und aller Spielarten gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit – in Nürnberg und Überall. Es bedarf einer Pädagogik und politischen Jugendbildung, die sich genau dies zum Grundsatz ihres Agierens und Handelns macht, ohne „Wenn und Aber“. Wenn aus dem Grundsatz „Nie wieder!“ ein „Ja aber“ wird, hat nicht nur die Demokratie verloren.
Florian Täuber
(Bildungsreferent SJD-Die Falken Unterbezirk Nürnberg, Sozialpädagoge (M.A.), Prävention Berater gegen Rechtsextremismus – Geschlechterbilder in Neonazismus)